Tiere teilen liegt im Trend
Nach Fleisch riecht es nicht, es ist nur ein bisschen kalt, wenn man die Kühlkammer der Metzgerei im emmentalischen Röthenbach betritt. Stünde man mit geschlossenen Augen darin, man könnte sich nicht vorstellen, wo man hier genau steht. Wer seine Augen aber öffnet, sieht vor sich mehrere Tonnen Fleisch, die hier aufgehängt worden sind. Es sind Rinderhälften von Moritz Maier. Vor gut vier Jahren gründete er die Plattform Kuhteilen.ch. «Nachhaltiger Fleischkonsum – darum geht es mir», sagt der 34-Jährige.
Von Nase bis Schwanz
Angefangen hat alles als Hobby. Maier hat das Projekt gemeinsam mit einem Freund auf die Beine gestellt. «Wir wollten eine Plattform kreieren, auf der die Leute zusammen ein Rind teilen können.» Crowdbutchering nannten sie ihre Idee. Und spran- gen damit auf den «Teil-Trend» auf, wie es ihn heute in vielen Bereichen gibt: Zum Teilen gibt es mittlerweile Autos, Gärten, Werkzeuge und vieles mehr.
Aber wie genau funktioniert Kuhteilen? Die jungen Gründer machten sich auf die Suche nach Landwirten, die ihnen geeignete Tiere anbieten konnten. «Wir setzten von Anfang an vorwiegend auf Bio-Standard und wollen auch spezielle Rassen wieder fördern, die sonst verloren gehen», erklärt Moritz Maier. Sobald ein Rind gefunden war, wurde es auf der Website aufgeschaltet. Das Prinzip ist immer noch gleich: Besucher erwerben einen Teil des Tieres, vier oder acht Kilogramm Fleisch stehen zum Verkauf, ein Paket mit den unterschiedlichsten Stücken des Rinds wird dem Kunden frisch nach Hause geliefert. Und erst wenn das ganze Tier verkauft ist, wird es geschlachtet. «Wir schlachten keine Tiere auf Vorrat, sondern dann, wenn die Nachfrage dafür besteht.» Je nach Grösse braucht es zwischen 30 und 50 Personen, die sich das Rind teilen. Ein bis zwei Wochen dauert es im Durchschnitt, bis es verkauft ist.
Und es ist nicht nur das Fleisch, das verwertet wird. Die Felle werden an Gerbereien gegeben, aus den Knochen wird ein Fond produziert. «Wir wollen wirklich ‹nose to tail›, also von der Nase bis zum Schwanz alles brauchen.» Maier findet es deshalb auch schade, dass das Wissen, wie man die verschiedenen Stücke zubereitet, immer mehr verloren geht.
Die Kunden von Kuhteilen.ch würden sich bewusst dazu entscheiden, auf ihr Fleisch zu warten. Denn nach dem Schlachten reift das Rind einen knappen Mo- nat in der Kühlkammer nach – «dry aging» nennt sich der Pro- zess. «Hier bilden wir quasi das Gegenstück zur Forderung, dass heute am liebsten alles noch am selben Tag geliefert werden sollte», meint Maier. Das habe aber damit zu tun, dass Fleischkonsumenten sich vermehrt dafür interessierten, von wo das Tier kommt und dass es von guter Qualität und nachhaltig sein soll. «Dieser Trend wiederum kommt uns entgegen.»
Auch mit einem anderen Trend muss sich Moritz Maier öfters auseinandersetzen. «Klar, es gibt die Vegetarier, die bei uns auf der Website Kommentare hinterlassen. Damit kann ich umgehen.» Auch er selber wolle nicht jeden Tag Fleisch auf dem Teller, aber wenn, dann eben gutes. «Und wenn man sich bewusst dafür entscheidet und Respekt davor hat, dass es sich um ein Lebewesen handelt, sollten die Leute das respektieren.»
Heute Söili und Lämmer
Seit der Gründung ist das Unternehmen stark gewachsen, schon lange ist es mehr als nur ein Hobby. Mittlerweile setzt der ausge- bildete IT-Fachmann aus Boll voll auf seine Plattform. Dass diese Anklang findet, merkt
Moritz Maier auch an verschiedenen Messen, an denen er mittlerweile häufiger teilnimmt. Diese Woche stellt er seine Idee bis zum Sonntag in Zürich am Criterion-Festival vor. Unter dem Motto «Für eine Zukunft mit Zukunft» präsentieren 200 Aussteller aus den Bereichen Technik, Design, Handwerk und Esskultur ihre nachhaltigen Projekte.
Mittlerweile gibt es auf Maiers Website nicht nur Rinder, die geteilt werden können, sondern auch Wiesen-Söili, Wollschweine oder Lämmer. Und wer will, kann ein Poulet vom Biohof kaufen. Auch hier setzt Maier auf Qualität, vielfach sind es Tiere von Pro Specie Rara, der Stiftung, die sich für die Erhaltung der Artenvielfalt einsetzt und gefährdete Nutztierrassen vor dem Aussterben bewahren will. «Wir bieten ganz unterschiedliche Rassen an, mal ein Piemonteser Rind oder ein Zebu, mal ein Wagyu-Rind. Wichtig ist dabei immer, dass wir mit den Bauern aus der Region zusammenarbeiten.»
Und – so sagt der Unternehmer – das Potenzial sei noch lange nicht aufgebraucht. Seit kurzer Zeit kann man nämlich nicht nur Fleisch teilen, sondern auch Wein. Dafür vermarktet Moritz Maier Jahrgänge von kleinen Weingütern, die sich die Leute untereinander aufteilen können.
Text: Annic Berset
Photo: Christian Pfander
Artikel: https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/tiere-teilen-liegt-im-trend/story/22275078
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